wissensfraktal
 
Lauter blinde Flecken...
 
Die Metapher des blinden Flecks wird auf kaum überschaubar viele Arten verwendet, die sich mehr oder weniger auf das physiologische Phänomen berufen, wobei aber die Analogie häufig sehr zu wünschen übrig läßt. Bitte urteilen Sie selbst, es folgen beispielhaft einige alternative Interpretationen:
 
So betrachten etwa Zajac und Bazerman Beurteilungsfehler als blinde Flecken: »Porter […] implies that [… the competitor´s assumptions about itself and about the other companies in the industry] may be strongly influenced by biases or ›blind spots,‹ defined as ›areas where a competitor will either not see the significance of events at all, will perceive them incorrectly, or will perceive them very slowly.‹ Knowing a competitor´s blind spots […] will help the firm to identify competitor weaknesses.« (Zajac, E. J.; Bazerman, M. H.: Blind spots in industry and competitor analysis: Implications of interfirm (mis)perceptions for strategic decisions, in: Academy of Management Review, Vol. 16, No. 1, 1991).
 
Folgende Sichtweise soll »holistisch« genannt werden: »Dann ist also die Unterscheidung der blinde Fleck, der in jeder Beobachtung als Bedingung ihrer Möglichkeit vorausgesetzt ist. […] Wir haben den blinden Fleck gefunden […] Es ist die Unterscheidung selbst, die allem Beobachten zugrunde zu legen ist. Aber als unterscheidendes Bezeichnen ist der Begriff des Beobachters sehr abstrakt gefaßt. Er schließt nicht nur Wahrnehmen und Denken (Erkennen) ein, sondern auch Handeln. Denn schließlich sind auch Zwecke und Werte Unterscheidungen, also blinde Flecke.« (Luhmann, N.: Wie lassen sich latente Strukturen beobachten?, in: Watzlawick, P.; Krieg, P. (Hrsg.): Das Auge des Betrachters : Beiträge zum Konstruktivismus, Festschrift für Heinz von Foerster, München/Zürich: Piper, 1991, in Anlehnung an Spencer-Brown; hier wird in letzter Konsequenz alles innerhalb einer Wissensbasis zum blinden Fleck).
 
Am häufigsten findet man differenzielle (oder »quantitative«) Interpretationen, wie beispielweise im Johari-Fenster. Der blinde Fleck entspricht einem nicht vorhandenen Wissen (je nach Autor in unterschiedlichen Ausprägungen).
 
Manche Autoren verwenden Kombinationen aus differenzieller und holistischer Interpretation, so z.B. Maturana/Varela: »Alles, was wir tun können, ist, Erklärungen zu erzeugen – durch die Sprache –, die den Mechanismus der Hervorbringung einer Welt enthüllen. Indem wir existieren, erzeugen wir kognitive ›blinde Flecken‹, die nur beseitigt werden können, indem wir neue blinde Flecken in anderen Bereichen erzeugen. Wir sehen nicht, was wir nicht sehen, und was wir nicht sehen, existiert nicht.« (Maturana, H. R.; Varela, F. J.: Der Baum der Erkenntnis : Die biologischen Wurzeln des menschlichen Erkennens, übers. v. Ludewig, K., München: Goldmann Verlag, 1990).
 
Für weitere Interpretationen und eine ausführliche Darstellung unserer qualitativen Sicht, die nicht nur auf Individuen zu beziehen ist, vgl. Glück, T. R.: Blinde Flecken in der Unternehmensführung : Desinformation und Wissensqualität, Passau: Antea, 2002, S. 31 ff.; bzw. einführend: Glück, T. R.: Das Letzte Tabu : Blinde Flecken, Passau: Antea, 1997.